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Augenschmaus – ein Gesamtkunstwerk

Von: Dr. Katrin Schäfer - Jan• 26•13

Der Artikel ist erschienen in:

GRAPHISCHE KUNST
Internationale Zeitschrift für Buchkunst und Graphik
Heft 2/2012, Seite 25-27.
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„Augenschmaus“

ist der Titel eines kulinarischen Gesamtkunstwerks, das in Kürze im Verlag für Buchkunst „Quetsche“ sowie bei der schweizerischen „Ascona Presse“ erscheinen und auf über 200 Seiten mehrere künstlerische Gattungen vereinen wird. Denn hier treffen virtuos Schreib-, Bild-, Koch- und Druckkunst in einem Werk zusammen.
Die Buchdruckkünstler Reinhard Scheuble („Quetsche“) aus dem nordfriesischen Witzwort und Roland Meuter („Ascona Presse“) aus der Schweiz haben diese anspruchsvolle Aufgabe, ein literarisches Kunst-Kochbuch zu schaffen, in ihren Werkstätten für  traditionelle Buchdruckerkunst und im „Atelier di legatoria“ unter der Regie des Herausgebers Dirk Kruse und des Typografen Matthias Gubig in meisterlicher Handwerkskunst umgesetzt.

 
Dirk Kruse, Mitarbeiter des Bayrischen Rundfunks, literarischer Kenner und selbst auch Autor, hat mit kundigem Gespür 22 Gegenwartsautoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angesprochen und sie gebeten, eine Geschichte rund um das Themen Essen, Kochen und Genuss zu schreiben. Und sie sind seinem Ruf gefolgt. Mal mit schwarzem Humor, mal wehmütig erinnernd, mal dokumentarisch erzählend, mal hintersinnig oder schlicht unterhaltsam, berichten namhafte Autoren wie beispielsweise Robert Menasse, Ingrid Noll, Jochen Missfeld, Katja Lange-Müller, Herbert Rosendorfer oder Günter Kunert über die Lust am Essen und Genießen.
 
 
Augenschmaus - Beispielgrafiken aus der Druckausgabe

Augenschmaus - Beispielgrafiken aus der Druckausgabe

 
Umrahmt werden die kurzweiligen Texte von einem Prolog von Christa Wolf sowie einem Gedicht von Günter Grass als Epilog.
 Illustriert werden diese Erstveröffentlichungen von wiederum 22 Künstlern und Grafikern. Zu jeder Geschichte entstand mindestens eine doppelseitige Originalgrafik sowie meist weitere, kleine Grafiken, die inhaltssensitiv in den Text eingebunden wurden und die Aussage der Geschichten nicht nur illustrieren, sondern unterstreichen und die feinen Nuancen, die man oft erst beim zweiten Lesen erspürt, bildhaft hervorheben. Zudem ist jedem Text eine Art Titelblatt vorangestellt, das auf die Erzählung einstimmt und neugierig macht, weil es -  ähnlich der Textüberschrift – bestimmte Erwartungen provoziert.
Viele Grafiker der illustren Runde kennt man bereits aus Scheubles Publikationen der „Quetsche“; so sind zum Beispiel neben Lothar Seruset, Steffen Volmer oder Hans Ruprecht Leiß auch wieder Otto Beckmann, Friedel Anderson, Klaus Süß und Gisela Mott-Dreizler vertreten.
 
Was dieses Zusammenspiel von Literatur und Kunst gerade für Sammler so wertvoll macht,  sind nicht nur die Originalgrafiken, sondern auch, dass Text und Grafik jeweils vom Künstler und Autor signiert werden und damit jeder ein einzigartiges Originalexemplar erwerben kann.
 
Ergänzt wird übrigens jeder Text mit inhaltlich abgestimmten Kochrezepten, die die Gastronomie-Kritikerin Susanne Wilkat zusammenstellte. Vielen ist sie als versierte Autorin bei der Zeitschrift  „Effilee – Magazin für Essen und Leben“ bekannt. Meist sind es 3-gängige-Menüs, die eine lukullische Reise durch die Welt versprechen, die schon beim Lesen hungrig machen; die kulinarischen Entdeckungen führen den Leser und Koch von der gepflegten Hausmannskost über original Wiener Rindsrouladen, vorbei an süd- und osteuropäischen Klassikern, Rezepten aus der Türkei oder Indien bis hin zu experimentellen Gerichten wie etwa „Coq au Cola“.
 

Augenschmaus - Beispielgrafiken aus der Druckausgabe

Augenschmaus - Beispielgrafiken aus der Druckausgabe

 
Bei der Wiedergabe der Illustrationen konnte Reinhard Scheuble wieder alle Facetten seiner Buchdruckkünste spielen lassen. Denn fast jede grafische Technik ist vertreten; Radierungen, Holzschnitte, Linolschnitte, Klischeeätzung, Siebdruck und sogar Originalzeichnungen fanden ihren Weg in dieses kongeniale Werk und für jede Grafik müsste der ideale Weg der Druckwiedergabe gewählt werden.
Reinhard Scheuble ist Buchdrucker, Buchkünstler und Verleger zugleich; ein Traditionsverwahrer der „Schwarzen Kunst“ sozusagen. Die traditionelle Buchdruckerkunst wie die Arbeit mit Bleisatz oder der moderneren Variante des Fotosatzes beherrscht er ebenso wie alle grafischen Drucktechniken. Seit 1985 gibt er in seinem Verlag für Buchkunst „Quetsche“ in Witzwort bibliophile literarische und von hochrangigen Künstlern illustrierte Kostbarkeiten sowie Originalgrafiken heraus. Handwerkliche Präzision und Perfektion kennzeichnen Scheubles Arbeiten, die alle in streng limitierter Auflage erscheinen. Auserlesenes Papier, handgebundene Einbände und der virtuose Einsatz der unterschiedlichen Hoch- und Tiefdrucktechniken machen seine Raritäten zu echten Sammlerstücken.
 
Bis zu ihrer Fertigstellung des „Augenschmauses“ vergingen fast zwei Jahre. Dafür ist das Werk um so aufwändiger gestaltet worden, fast möchte man es als Meisterstück bezeichnen. 
Mitverleger Roland Meuter, Freund und Kollege Scheubles aus dem schweizerischen Weggis, übernahm die Buchbindearbeiten dieser Ausgabe, die nur eine Auflage von rund 80 Exemplaren umfasst,  22 davon als Luxusausgabe. Er gilt heute als einer der renommiertesten Handpressen-Buchbinder und als virtuoser Meister dieser mittlerweile selten gewordenen Handwerkskunst. Denn in der Handbuchbinderei treffen sich Tradition und Moderne, Präzisionsarbeit und Kreativität. Meuter beherrscht aussergewöhnliche und traditionell-historische Bindetechniken, gestaltet Umschläge, entwirft Dekorationen, vergoldet und verarbeitet Materialien wie Maroquin, Chagrinziegen-, Oasenziegen- und Kalbleder sowie moderne und klassische Marmorpapiere. Für diesen Band hat er sich für ein hochwertiges Leinen entschieden und für die Luxusausgabe für einen Ledereinband und eine aufwändig gearbeitete Schmuckkassette.
Augenschmaus - Auszug aus Seite 27 aus dem Artikel in "Graphische Kunst"

Augenschmaus - Auszug aus Seite 27 aus dem Artikel in "Graphische Kunst"

 
Gestaltet wurde das literarische Kunst-Kochbuch vom Typografen Matthias Gubig,  Buchgestalter und Grafiker, und lange Jahre Professor für Typografie und Grafikdesign an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Zusammen mit Scheuble hat er schon mehrere Bücher der „Quetsche“ typografisch begleitet und herausgegeben. 
Auch dieses Buch wurde wieder durchdacht konzipiert – ein stringenter Aufbau, der aber dennoch eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlt. Als Schrifttype wurde passend „Today“ gewählt,  eine lebendige Grotesk-Schrift, die auf den Strukturen und Proportionen der Renaissance Antiqua aufbaut. Die Schrift fügt sich harmonisch ins Gestaltungskonzept ein: sehr gute Lesbarkeit, ohne dabei zu verspielt oder zu streng zu wirken.
 
Das spiegelt sich auch in der Buchgestaltung wider: Denn jeder der 22 Textblöcke sowie der Prolog von Christa Wolf als auch der Epilog von Günter Grass steht gestalterisch für sich und offenbart erst in der Zusammenschau die verbindenden Elemente. Die Texte umfassen meist 6-8 Seiten und jedes dieser Text-Grafik-Rezept-Kapitel wird von einer eigenen Farbe leitmotivisch zusammengehalten. Das beginnt bereits beim Titelblatt der jeweiligen Geschichte, dessen Grafik von einem farbigen Untergrund umrahmt wird, das allein schon optisch dem Leser und Betrachter den Beginn eines neuen Kapitels signalisiert. Ein Seitenstreifen, die sich am linken Textrand von oben nach unten zieht, entweder farbig oder gemustert und individuell auf das jeweilige Kapitel abgestimmt, strukturiert das Buch zusätzlich.
Jeder der 22 Blöcke wirkt also aus sich selbst, wird aber durch die Gestaltungselemente zusammengehalten und kann so wahlweise als eigenständiges Kleinod oder aber als Teil des Ganzen gesehen werden.
 
Gerade diese Vielfalt – einerseits die Variationen der grafischen Techniken, andererseits die optisch unterschiedliche Gestaltung der Einzelkapitel – macht aber auch den Reiz dieses Buches aus: Die scheinbar fehlende Einheit wird zum Konzept und offenbart sich in der Zusammenschau als geniale Methode, den lesenden Betrachter selbst, getreu dem alten Lateiner-Spruch „varietas delectat“, auf eine Entdeckungsreise durch Kunst, Literatur und Kulinarik zu schicken.
 
Mit dem Gesamtkunstwerk „Augenschmaus“ wird Lesen wieder zu einem echten Sinnes-Genuss: Das edle Büttenpapier und der Einband schmeicheln dem Tastsinn schon beim Umblättern, die Augen erfreuen sich am intellektuellen Zusammenspiel von Text und Bilder und der Gaumen schließlich an den raffinierten Rezepten.

 

Augenschmaus. Hrsg. v. Dirk Kruse.
 Format 39 x 24 cm, 216 Seiten, gedruckt auf 170g Büttenpapier. 
Quetsche. Verlag für Buchkunst/ Ascona Presse. Witzwort /Weggis 2013.
Preis Normalausgabe: 2.100,- €; Preis Luxusausgabe: auf Anfrage.

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